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Demokratie in Deutschland 2011

Mehr denn je braucht die Politik die Medien und stellt sich auf deren Logik ein. Verbreitete Legitimitätszweifel veranlassen zu verstärkten kommunikativen Anstrengungen, deren Wirkungen sich die Politik aber nicht sicher sein kann. Ohne den freien Zugang zu Medien und ohne Kompetenz im Umgang mit Medien bleibt gesellschaftliche Teilhabegerechtigkeit ein leeres Postulat.

Medien und Demokratie

Krisendiagnosen gehören zum politischen Diskurs einer offenen Gesellschaft. Sie sind Ausdruck einer "reflexiven Moderne", die sich ihrer eigenen Grundlagen, Defizite und Nebenfolgen bewusst wird, zugleich aber als veränderungsoffen und lernfähig erweist. Allen diesen zeitdiagnostischen Einschätzungen ist gemeinsam, dass die herkömmlichen demokratischen Institutionen als zunehmend geschwächt und die Verfahren der Legitimationsbeschaffung als nicht mehr hinreichend angesehen werden. Dabei kommt den Medien eine zentrale Rolle zu. Sieht man in ihnen einerseits einen Krisenverursacher bzw. -verstärker, so gelten sie andererseits als Gewinner der Krise, zumindest was ihren Einfl uss auf Gesellschaft und Politik anbelangt.

Eine komplexer werdende Gesellschaft, die vorgegebenen Wahrheitsansprüchen zunehmend misstraut, nach mehr Mitsprache verlangt, sich zugleich aber immer weniger in Organisationspflichten dauerhaft einbinden lässt, muss die Koordinaten ihrer Kommunikations- und Beteiligungskultur neu bestimmen. Die Folge dieser Entwicklung ist eine zunehmende Legitimitätsempfindlichkeit von Politik, mit der zugleich die Kommunikationsabhängigkeit allen politischen Handelns wächst. Damit aber kommt den Medien, wie politischer Kommunikation insgesamt, eine Schlüsselrolle im demokratischen Prozess zu.

Kommunikation ist integraler Bestandteil und nicht lediglich ein Appendix von Politik. Auch wenn die allgemein zugänglichen Massenmedien inzwischen die zentrale Plattform der Politikvermittlung politischer und gesellschaftlicher Akteure sowie der Politikwahrnehmung durch die Bürger abgeben, so erschöpft sich politische Kommunikation nicht in medienvermittelter Kommunikation. Gesellschaftliche und politische Teilhabe braucht beides, Zugang zu Medien und Gelegenheiten zu nichtmedialer Kommunikation.

In der modernen Mediengesellschaft der Bundesrepublik stellt (Medien-)Öffentlichkeit die Bühne für die Dauerbeobachtung der Politik bereit. In immer kürzeren Rhythmen übermitteln Medien (weniger) Zustimmungs- und (mehr) Krisensignale. Indem die Medienberichterstattung als alltägliches politisches Stimmungsbarometer die Funktion einer Ersatzdemoskopie einnimmt, wird die Legitimationsressource Öffentlichkeit brüchig. Der stimmungsdemokratische Druck auf politische Verantwortungsträger erhöht nicht nur die Reiz-Reaktions-Dichte im politischen Handeln und Verhalten, sondern begünstigt auch kollektiven Irrtum.

In dem inzwischen hoch kommerzialisierten Medienmarkt verschärfen sich die Spannungen zwischen der Logik einer zunehmenden Publikums- und Marktorientierung auf der einen und den Ansprüchen der Public-Service-Funktion freier Medien auf der anderen Seite. Dabei beeinflussen sich Gesellschaft, Politik und Medien in einer Weise wechselseitig, bei der nicht immer klar unterschieden werden kann, wer "Antreiber" und wer "Getriebener" ist.

Weil sich die politisch-weltanschaulichen Anker der Gesellschaft lockern und zunehmende soziale Differenzierung die politische Orientierungskraft durch Organisationsbindung und Milieuzugehörigkeit abschwächt, erfolgt Legitimation mehr denn je durch Kommunikation. Medienpräsenz und -kompetenz sind zur existentiellen Machtprämie geworden. Die Investitionen in die ingenieurhafte Planung von Politikdarstellungskompetenz steigen. Kommunikation wird mehr und mehr zu einer professionellen Sozialtechnik, statt integraler Bestandteil der Politik zu sein.

Während die Professionalisierung des Politikvermittlungsbetriebs voranschreitet und die Chancen zur Umgehung journalistischer Verarbeitung politischer Informationen zunehmen, sind Anzeichen einer Deprofessionalisierung des politischen Journalismus, für den Recherchezeit, Geld und Personal immer knapper werden, unverkennbar. Gleichzeitig setzt der Kampf um Aufmerksamkeit die Politik zunehmend unter Medialisierungsdruck, auch wenn "Darstellungspolitik" und "Entscheidungspolitik" zwei unterscheidbare Kommunikationswelten mit je eigener Logik sind. Der Aufmerksamkeitswettbewerb verselbständigt sich mehr und mehr gegenüber dem politischen Entscheidungshandeln. Beide Welten driften auseinander. In der Folge entsteht eine Art politisch-medialer Wirklichkeitsspaltung.

Ein Mehr an Medienpräsenz allein kann Transparenz und Rationalität des politischen Prozesses nicht garantieren. Entscheidend ist vielmehr eine politische Kommunikation, die politische Alternativen aufzeigt und Diskurse anstößt, die nicht allein der Präsentation etablierter Akteure dient, sondern auch zivilgesellschaftliche Ressourcen erschließt.

Des Weiteren zielt Kommunikation mit demokratischem Anspruch nicht auf situative Akklamation. Vielmehr geht es um Inklusion und kommunikative Teilhabe, um Möglichkeiten zur Anschlusskommunikation in der Politik wie auch im lebensweltlichen Umfeld der Bürger. Mit der quantitativen und qualitativen Änderung der Kommunikationsbedingungen erhöhen sich zwar die Entscheidungskosten, im Gegenzug sind aber Legitimitätsgewinne zu erwarten.

Gilt es, die technologischen Voraussetzungen für Interaktivitätspotentiale internetgestützter Kommunikationsmedien nicht zu unterschätzen, so sollte zugleich die Interaktivitätsbereitschaft der Bürger in Sachen Politik nicht überschätzt werden. Nach wie vor sind die neuen Kommunikationsmedien (insbesondere Web 2.0 etc.) mit großen emanzipatorischen Hoffnungen belegt. Nach mehrjährigen Erfahrungen ist jedoch die Gefahr nicht zu übersehen, dass die gesellschaftliche Spaltung vertieft wird, weil die ohnedies schon ressourcenstarken Kräfte der Gesellschaft den größeren Nutzen aus der erweiterten Informations- und Kommunikationsinfrastruktur ziehen können.

Zuletzt ergibt sich Teilhabegerechtigkeit im Kontext von Medien und Kommunikation nicht automatisch im Zuge medien- und kommunikationstechnologischer Innovationen. Es bedarf des politischen Gestaltungswillens, um immer wieder neu die Voraussetzungen dafür zu überprüfen, dass das Medien- und Kommunikationssystem der ihm zugedachten demokratiekonstitutiven Aufgabe gerecht wird.