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Demokratie in Deutschland 2011

Die Einstellungen der Deutschen zur Demokratie sind ambivalent: Während die Demokratie als solche von den meisten akzeptiert und befürwortet wird, macht sich eine zunehmende Skepsis gegenüber der "real existierenden Demokratie" und ihren Akteuren breit. Dieses tief sitzende Misstrauen ist Ausdruck wachsender sozialer Ungleichgewichte sowie eines Mangels an demokratischen Beteiligungs- und Mitbestimmungsmöglichkeiten.

Einstellungen zur Demokratie

Die Einstellungen der Deutschen zur Demokratie sind ambivalent. Einerseits existiert zwar ein weitgehender Konsens über die Demokratie als Gesellschaftsform und kulturell verankerte Lebensweise. Andererseits wächst die Skepsis gegenüber der "real existierenden Demokratie". Während demokratische Grundprinzipien wie Gewaltenteilung, Rechtsstaatlichkeit und Mehrheitsregel sowie die damit verbundenen demokratischen Tugenden wie Freiheit, Gerechtigkeit, Gleichheit, Toleranz und Fairness von der überwiegenden Mehrheit der Menschen unangefochten akzeptiert und als selbstverständlich bzw. alternativlos betrachtet werden, gerät die offizielle Politik der Regierungen, Parlamente und Parteien zunehmend in Misskredit. Dies geht mittlerweile so weit, dass man von einer ausgeprägten Demokratiedistanz bei einem relativ großen Teil der Bevölkerung insofern sprechen kann, als man den in allgemeinen Wahlen demokratisch legitimierten Institutionen und vor allem Personen nicht länger zutraut, die anstehenden gesellschaftlichen Probleme und Herausforderungen zu bewältigen.

Politik wird zunehmend eher mit Machterhalt und Privilegienherrschaft assoziiert anstatt mit dem normativ orientierten Ringen um demokratische Mehrheiten bzw. mit demokratischer Meinungs- und Willensbildung. "Die Politiker" oder auch "die politische Klasse" werden mit Skepsis und Misstrauen betrachtet. Politik gilt per se als vertrauensunwürdig. Zu dieser Beobachtung passt die in den letzten Jahrzehnten stetig sinkende Beteiligung an Europa-, Bundestags-, Landtags- und Kommunalwahlen. Wer für sich zu der Überzeugung gelangt ist, dass die Ergebnisse von demokratischen Wahlen keine nennenswerten Auswirkungen auf die tatsächliche Politik haben, dem erschließt sich auch der Sinn des Gangs zum Wahllokal nicht mehr. Es scheint zu einer tiefgreifenden Entfremdung zwischen der alltäglichen Lebenswelt und der bisweilen hochabstrakten und scheinbar eigenen Gesetzmäßigkeiten folgenden professionellen Politik in Regierung und Parlamenten gekommen zu sein.

Es gibt mittlerweile eine signifikante Diskrepanz zwischen den Partizipationsbedürfnissen von aufgeklärten Staatsbürgerinnen und Staatsbürgern einerseits und der in den Köpfen der professionellen Akteure nach wie vor tief verwurzelten Kultur des "Durchregierens" und "Top-down-Managements" andererseits. Parlamentsmehrheiten und Bevölkerungsmehrheiten sind häufig nicht mehr kongruent. Hiermit ist für die auf Repräsentation von Mehrheiten ausgerichtete parlamentarische Demokratie ein Grundproblem verbunden. Wenn die Mehrheiten im Parlament signifikant häufig gegen die Mehrheit der Bevölkerung agieren, erzeugt das auf Dauer unausweichliche Legitimationsprobleme. In den letzten Jahren gab es vermehrt solche Situationen, bei denen die Mehrheit im Deutschen Bundestag in wichtigen Fragen gegen breite Bevölkerungsmehrheiten entschieden hat (z. B. beim Afghanistan-Einsatz, den Hartz-Gesetzen oder dem Börsengang der Deutschen Bahn). Die politischen Akteure rechtfertigen ihre Entscheidungen dabei immer wieder mit einem höherstufigen Rationalitätsanspruch. Problematisch daran ist auf jeden Fall die mit dieser Kultur des Entscheidens "von oben" und gegen breite Bevölkerungsmehrheiten verbundene Frustration des politischen Interesses.

Des Weiteren setzt die zunehmende soziale Spaltung der Gesellschaft auf massive Weise der Demokratie zu. Soziale Gerechtigkeit wird in Deutschland allgemein als fester Bestandteil der Demokratie betrachtet. Da aber viele Menschen soziale Gerechtigkeit angesichts der massiven Verwerfungen im deutschen Modell des Wohlfahrtsstaates nicht mehr verwirklicht sehen, verlieren sie das Vertrauen in die Demokratie. Das Vertrauen in die Demokratie hängt von sozialen Voraussetzungen ab, die viele Menschen als derzeit nicht oder immer weniger gegeben ansehen. In großen Teilen der Bevölkerung hat sich offensichtlich eine tief sitzende Skepsis gegenüber den sozialen Entwicklungen der Gesellschaft und den damit verbundenen Sozialstaatsreformen der letzten Jahre entwickelt. Wenn man schließlich die Einstellungen gesellschaftlicher "Eliten" zur Demokratie betrachtet, zeigt sich Demokratiedistanz weniger darin, dass die Bürgerinnen und Bürger von den Wahllokalen fernbleiben als vielmehr in einer "inneren" Aufkündigung jahrzehntelang konsentierter Auffassungen vom demokratischen Gemeinwesen. Die Demokratie verliert ihre Anhänger, wenn sie es nicht vermag, das mit ihr einhergehende soziale Versprechen einzulösen.