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Demokratie in Deutschland 2011

Die positiven Einstellungen der Jugend zur Demokratie und ihre Bereitschaft, sich für ihre Interessen und gesellschaftliche Belange einzusetzen, werden in der öffentlichen Debatte zumeist unterschätzt. Jugendliche bringen traditionellen politischen Organisationen und Engagementformen Skepsis entgegen – innovative Varianten der politischen Artikulation werden punktuell genutzt. Die Abhängigkeit politischer Einstellungen und Partizipation von Bildung verweist aber auf Integrationsprobleme, die durch soziale und ökonomische Unsicherheiten verstärkt werden können.

Jugend und Demokratie

Pauschale Äußerungen, Jugendliche interessierten sich zu wenig für Politik, würden nicht hinlänglich demokratische Orientierungen aufweisen und seien dementsprechend auch nicht bereit, sich in politischen Angelegenheiten zu engagieren, halten empirischer Überprüfung nicht stand.

Jugendliche und junge Erwachsene bekunden politisches Interesse, und dies umso stärker, je mehr sie ins dritte Lebensjahrzehnt hineinwachsen und je höher ihr formaler Bildungsstatus ist. Die demokratische Gesellschaftsordnung mit ihren Grundwerten wird von jungen Menschen anerkannt und mitgetragen, und dies gleichviel, ob sie in den alten oder in den neuen Bundesländern leben oder aus Familien mit Migrationshintergrund stammen. Den demokratischen Alltag in der Bundesrepublik beurteilen viele allerdings reserviert oder gar ablehnend, besonders dann, wenn die eigene Zukunft als unsicher eingeschätzt und die Verteilung des Reichtums in dieser Gesellschaft – gerade auch auf die eigene Person bezogen – als ungerecht empfunden wird.

Zu übereinstimmend negativen Urteilen kommen Jugendliche und junge Erwachsene indes hinsichtlich der Akteure des politischen Alltagsgeschäfts: Politiker und Politikerinnen sowie Parteien genießen, konstant über viele Jahre schon, wenig Vertrauen. Ein ähnlich geringes Vertrauen wird seit neuerem ebenso dem ökonomischen Sektor, sprich den großen Unternehmen und den Banken, entgegengebracht. In vielem unterscheiden sich diese Urteile und Einschätzungen der Jugendlichen kaum von denen der erwachsenen Bevölkerung.

Der Erwerb höherer formaler Bildung und der damit einhergehende längere Verbleib in Bildungsinstitutionen begünstigt die Aufgeschlossenheit junger Menschen gegenüber der Politik. Es zeigt sich, dass staatsbürgerschaftliche Orientierungen bei Jugendlichen generell auch davon abhängen, wie zufrieden sie mit ihrer ökonomischen und sozialen Lebenssituation sind und wie subjektiv gelungen sie ihre soziale Verortung in der Gesellschaft erleben. Dies hängt wiederum stark vom Eindruck der Gerechtigkeit in der gesellschaftlichen Ordnung und dem Grad von Unsicherheit hinsichtlich der eigenen Zukunft ab.

Zum Engagement sind Jugendliche und junge Erwachsene durchaus bereit und bei ihnen passenden Gelegenheiten sind sie auch aktiv. Allerdings besitzen die eher traditionellen Felder politisch-gesellschaftlicher Partizipation mit ihren institutionellen Rahmenbedingungen, ihren Entscheidungsverläufen, ihren Hierarchien, ihren Kommunikationsritualen, ihren meist weiten Zeithorizonten für junge Menschen offenkundig nur eine geringe Attraktion. Richtet man den Blick nur auf diese Bereiche, wird man notwendigerweise ein Partizipationsdefi zit Jugendlicher und junger Erwachsener feststellen. Dieser Eindruck verdankt sich aber einer konservativen Betrachtung des politischen Raums. Sie erfasst eben nicht die Präferenzen Jugendlicher. Denn diese bevorzugen zeitbegrenzte, projektbezogene, wenig durch kontinuierliche Arbeit in hierarchischen Zusammenhängen festgelegte Aktionen. Ihr Engagement hat einen dynamischen Charakter. Es begleitet die Jugendbiographie nicht beständig, sondern diskontinuierlich, weil anderes im Verlauf des Heranwachsens mit seinen hohen Anforderungen an Ausbildung sowie soziale und ökonomische Verortung auch gar nicht möglich wäre. Die Grundhaltung ist aber dennoch politisch-partizipativ. Eine neue, erweiterte demokratische Praxis mit Elementen einer "monitory democracy", das heißt das aufmerksame Beobachten von Politik und die Ausdehnung machtkontrollierender Mechanismen und Netzwerke wie etwa Foren oder Menschenrechts- und zivilgesellschaftlicher Organisationen, spielt gerade für junge Menschen eine wichtige Rolle, und zwar nicht nur in ihrem, sondern gerade auch im gemeinschaftlichen Interesse.

Unter zwei Aspekten gibt es für eine Politik der Demokratiestärkung klare Herausforderungen:

Zum einen würde eine breite kognitive Mobilisierung im Bildungssystem den Bildungsfaktor in einer demokratisch wünschenswerten Weise verstärken. Dies dürfte allerdings nicht nur heißen, "demokratisches Grundwissen" durch mehr und eventuell auch anderen Sozialkundeunterricht zu verbreitern. Vielmehr muss es vor allem darum gehen, bereits in der Schule demokratische Praxis durch erweiterte Partizipationsmöglichkeiten für Schülerinnen und Schüler stärker zu etablieren. Angesichts der abnehmenden Bedeutung des Nationalstaatlichen könnte hierzu gehören, die kognitiv-abstrakte Informationsvermittlung z. B. über die europäische Integration durch eine Ebene der praktischen Erfahrung zu ergänzen. Die bildungspolitische Zielsetzung darf sich also nicht darauf beschränken, lediglich Handlungsfähigkeit, -bereitschaft, -kompetenz oder auch nur das politische Urteilsvermögen zu schärfen, sondern diese müssen in praktisches Handeln und praktische Erfahrungen eingebettet sein.

Für eine Stärkung von Partizipation ist zum anderen wichtig, zivilgesellschaftliche Netzwerke als Gelegenheitsstrukturen legitimen bürgerschaftlichen Engagements oder auch Protests zuzulassen und positiv zu begreifen, sie aber im Vergleich zu Jugendorganisationen, -vereinen, -verbänden oder Parteien nicht als geringer zu bewerten. In der jüngeren Geschichte waren es gerade solche Netzwerke und Initiativen wie z. B. die Bürgerrechtsbewegung, die Anti-Atomkraft- Bewegung, die neue Frauenbewegung oder auch die Umweltbewegung, die enorme Veränderungen in der Gesellschaft angestoßen haben.